Artikel erschienen in der S@PPORT Ausgabe 5/2019
Mit S/4HANA hat SAP einen erheblichen Paradigmenwechsel im Vergleich zur Vorgängerversion vollzogen. Die enorme Leistungssteigerung und Vereinfachung der Prozesse wurde vor allem durch Konsolidierung erreicht. Leider werden gerade aus diesem Grund viele Außenhandelsfunktionen in S/4HANA nicht mehr unterstützt. Umsteiger müssen sich somit frühzeitig informieren welche exportrelevanten Prozesse zukünftig wie abgebildet werden können. Sei es mit den in S/4HANA vorhandenen Funktionen, durch AddOns oder sogar durch die Anschaffung von SAP Global Trade System.
3 Wege für den Außenhandel in S/4HANA
1. Nutzung der International Trade-Komponenten in S/4HANA (bei wenig Außenhandel)
2. Umstieg auf SAP Global Trade Services (GTS) mit großflächiger Abdeckung aller Außenhandelsfunktionen
3. Zoll- und Außenhandels-AddOns (beziehungsweise Module und Schnittstellen) für S/4HANA von SAP Partnern
Ob nun Greenfield- oder Brownfield-Ansatz bei der Umstellung von SAP ERP auf S/4HANA angewandt wird, das wird den Export-, und Zollverantwortlichen wenig Kopfzerbrechen bereiten. Denn in erster Linie werden diese sich Gedanken machen wie die Außenhandels-Funktionalität in S/4HANA abgedeckt werden wird.
Sehr viele Unternehmen Nutzen unter ECC 6.0 aktuell noch die sogenannten Foreign Trade-Komponenten. Mit den enthaltenen Funktionsbereichen Intrastat, Export Compliance, Präferenzabwicklung und Dokumentengeschäfte (Letter of Credit) können wichtige Aufgaben im Außenhandel mit den vorhandenen Mitteln abgebildet werden.
Das Problem dabei ist, dass diese Foreign Trade-Komponenten in ihrer bisherigen Form in S/4HANA nicht mehr vorhanden sind. Grund hierfür ist die Konsolidierung und Vereinfachung vieler Funktionen gegenüber der vorherigen Version. Die Überbleibsel der „Foreign Trade“-Funktionalität aus den Vorgängerversionen R/2 und R/3, die in ECC 6.0 noch angelegt waren, wurden in S/4 bereinigt: Die Felder aus SD-FT (Sales and Distribution – Foreign Trade) und MM-FT (Material Master – Foreign Trade) sind in der neuen Suite zum größten Teil entfernt oder werden einfach nicht mehr befüllt. Damit sind auch Eigenentwicklungen welche die betroffenen Felder nutzen, höchstwahrscheinlich nahezu unmöglich anzupassen, geschweige denn einfach zu migrieren.
Außenhandelsfunktionen in SAP S/4HANA for International Trade
Nun aber eine gute Nachricht: Auch unter S/4HANA gibt es inzwischen eingebettete Außenhandelsfunktionen. Diese nennen sich nun anders und haben ein neues Aussehen, erfüllen jedoch teilweise die bisherigen Aufgaben. Die in S/4HANA verfügbaren Außenhandelskomponenten werden unter dem Namen „International Trade“ zusammengefasst. Während zunächst nur wenige Funktionen verfügbar waren, wurden weitere hinzugefügt, um „Feature Parity“ herzustellen. Diese wurden stufenweise mit den S/4HANA-Builds ausgeliefert. Begonnen hatte die SAP damit, eine neue Instrastat-Funktion einzubauen, welche das Reporting für die grenzüberschreitende Warenbewegung schneller und präziser gestaltet. Darüber hinaus wurde die Weiterentwicklung der Überwachung von gesetzlichen Vorgaben des Exports (Legal Control) und des Exportmanagements umgesetzt. Eine vollständige Exportkontrolle lässt sich damit allerdings nicht ohne erhebliche Anpassungen und zugehörigem Datenservice umsetzen. Für eine kleine Exportkontrolle, welche z.B. nur bestimmte Länder für Warenbezug oder Warenabsatz sperrt, ist die Lösung ausreichend.
Ein Wermutstropfen ist jedoch, dass die für viele international agierende Unternehmen äußerst wichtige Präferenzabwicklung nicht im International Trade enthalten ist. Besonders schmerzlich ist dies für diejenigen, die auf Basis der bisher enthaltenen Funktionen zur Lieferantenerklärungs-anforderung und Präferenzkalkulation darauf aufbauend eigene Lösungen entwickelt haben. Weitere, ergänzende Funktionen werden voraussichtlich auch langfristig nicht als festintegrierte Komponenten verfügbar sein.
Beim Einsatz der International Trade-Komponenten in einer On-Premise Version, ist entscheidend, auf welche Version umgestiegen werden soll, da die einzelnen Komponenten erst nach und nach bereitgestellt wurden. Eine Übersicht welche Funktionalitäten in welcher Version verfügbar sind finden Sie im SAP Help Portal.
SAP Global Trade System – eines für alles
Einige GTS-Anwender befürchteten beim Release von S/4HANA, dass SAP Global Trade Services (GTS) nicht mehr weiterentwickelt werden würden und stattdessen Außenhandelsfunktionen von S/4HANA übernommen werden würden. Diese Sorge erwies sich jedoch als unbegründet. Aus SAP Sicht wird auch zukünftig GTS die primäre Zoll- und Außenhandelsplattform sein und bleiben. Gerade Unternehmen die dieses im Einsatz haben, können also bezüglich Ihrer Außenhandelsprozesse eher gelassen im Hinblick einer Umstellung auf die Suite sehen.
Die bestehenden GTS-Funktionen können auch nach der Transition weiter genutzt werden. Denn die hohe Integration wie mit ECC und GTS besteht ebenso für S/4HANA.
Mit Global Trade Services versucht SAP alle Herausforderungen des Außenhandels in einem einzigen System abzubilden. Dabei werden Prozesse für den Warenimport und –export, Compliance-Prüfungen und Exportkontrolle, wo möglich, automatisiert. Auch ein Präferenzmanagement mit Lieferanten- und Kundendeklarationen ist verfügbar.
Der Vorteil von GTS liegt unter anderem in der Sammlung und Aufbereitung von Daten aus unterschiedlichen ERP- und Transportmanagementlösungen. So können Ausfuhr- und Einfuhranmeldungen an zentraler Stelle erstellt werden und für die Übertragung an die Zollbehörden aufbereitet werden. Daher kann GTS für Unternehmen, die mit mehreren ERP- und logistischen Systemen arbeiten, die passende Lösung für den Zoll- und Außenhandel sein und bleiben.
Für kleinere und mittelständische SAP-Kunden, die GTS neu implementieren müssten könnte dies jedoch anders aussehen. Denn die umfassende Lösung ist unter anderem mit erheblichem Wartungsaufwand und mit relativ hohen Kosten verbunden.
Das Problem mit dem Ursprungsland
Im Materialstamm existiert, auch in S/4HANA weiterhin nur ein Feld für das Ursprungsland. S/4HANA kennt nur den handelsrechtlichen oder auch nichtpräferenziellen Ursprung. Ein Feld für den präferenzrechtlichen Ursprung wurde nicht eingeführt. Der Hilfetext zu dem Feld Ursprungsland ist ebenso gleichgeblieben. Die Hilfe-Erklärung zum dem Feld verwendet leider nicht die von offiziellen Seiten definierten Begriffe. Es wird hier der umgangssprachliche Begriff IHK-Ursprung verwendet. Tatsächlich bieten die IHKs einen Service um den handelsrechtlichen Ursprung, meist auf Basis von Handelsrechnungen zu bestätigen.
Als Abhilfe dazu werden in der Praxis zwei Wege angewandt:
1. Pflege der Ursprungsinformationen in textueller Form im Einkaufsinfosatz (nicht gut auswertbar)
2. Kundeneigenes Zusatzfeld „Präferenzielles Ursprungsland“
Alternativen für den Mittelstand notwendig
Das ist aus Anwendersicht ein wenig schade, denn mit International Trade hätte man auch die Chance gehabt andere, vorher nicht im Standard enthaltene und vielgenutzte Funktionen SAP-seitig zur Verfügung zu stellen. Zum Beispiel die Möglichkeit Ausfuhranmeldungen über ATLAS zu tätigen. Wenn ein Unternehmen keinen großangesiedelten Außenhandel mit Ländern außerhalb von Europa besitzt, jedoch des Öfteren Ausfuhren in die Schweiz tätigt, müsste nach dem aktuellen Stand um diese Aufgabe in S/4HANA zu realisieren auf den Einsatz des GTS zurückgegriffen werden. Alternativ bietet sich eine Stand-Alone-Lösung ohne Anbindung an das ERP an. Während der Einsatz von GTS einzig für diesen Zweck wohl – untertrieben gesagt – überdimensioniert und unrentabel wäre, ist der Verzicht auf eine Anbindung schlichtweg unpraktisch. Das manuelle Abtippen von Vorgängen sollte sich in modernen Unternehmen auf ein Minimum beschränken. Das beugt auch Übertragungsfehlern vor. In Hinblick auf den Brexit ist dieses Szenario, zukünftig öfter mit einem Drittland Handel zu betreiben, für viele Unternehmen plötzlich sehr wahrscheinlich geworden. Schließlich ist Deutschland Englands wichtigster Handelspartner oder andersherum ausgedrückt: Gemessen am Warenwert exportiert Deutschland doppelt so viel ins Vereinigte Königreich, als von dort zurückkommen. Was also tun um diese Anforderung bedarfsgerecht abzudecken?
AddOns- Individualität zeichnet sich aus
Gerade aus diesen Gründen könnten die für S/4HANA entwickelte „AddOns“ sowie Schnittstellenlösungen eine attraktive Alternative darstellen. Die teils sehr tief integrierten Anwendungen können aufgabenspezifisch Außenhandelsfunktionen abdecken und sind im Betrieb und Anschaffung meist günstiger und robuster, da sie in der Regel auf ein Basismodul mit hoher Verbreitung zurückgreifen. Zudem bieten sie meist einen integrierten Daten- und Updateservice für zollrechtliche Änderungen.
Eine im SAP integrierte Software setzt auf die Übertragung von Bewegungsdaten aus Vorbelegen wie Rechnungen, Lieferungen aus dem Verkauf sowie Bestellungen und Wareneingängen aus dem Einkauf. Da im S/4HANA die ursprünglichen Außenhandelsdaten nicht mehr verwendet werden, werden zusätzliche Angaben wie die Zolltarifnummer aus den Produktstammdaten gelesen. Im S/4HANA Release 1809 sind für diesen Zweck auch wieder deutlich mehr Außenhandelsdaten aus den Belegen verwendbar als in den vorangehenden Releases.
Deswegen zurück zu der angesprochenen Problematik, dass Präferenzen nicht mehr im Standard abgebildet werden. Freihandelsabkommen nehmen an Bedeutung weiter zu. Dabei steigt nicht nur deren Anzahl, sondern auch die Komplexität der Anwendung steigt enorm, wie das EU-JAPAN-Abkommen (JEFTA) gezeigt hat. Ebenso spielt der BREXIT hier eine Rolle, beispielsweise bei der Frage, wie mit Waren umgegangen wird, die ihren EU-Ursprung verlieren. Deshalb könnte gerade diese Funktionalität schmerzlich vermisst werden. Hier könnten speziell für Warenursprung und Präferenzkalkulation entwickelte Anwendungen wie GENESYS Ablösung schaffen. Die Überleitung der benötigten Daten erfolgt dabei vergleichbar zu GTS. Ein großer Vorteil der AddOns ist die meist viel kürzere Reaktionszeit auf die rechtlichen Änderungen und anstehenden Abkommen. Das GTS-Update für JEFTA ist nach unserem letzten Kenntnisstand für den Herbst 2019 angekündigt – einige AddOn-Anbieter bieten seit Inkrafttreten passende Updates dafür an.
Bei rechtlichen Änderungen werden zeitnah Updates geliefert, die die Anwendung an die geänderten Gegebenheiten anpasst. Der im Fall von GENESYS zum Einsatz kommende Datenservice des Bundesanzeiger Verlags, sorgt dazu für die stetige Aktualität der anwendbaren Präferenzregeln – und das ohne Zonenabgleich. Die Kalkulation erfolgt im externen Modul, jedoch werden die Ergebnisse der Lieferantenerklärungs-Abfrage in S/4 angezeigt und angewandt. Ebenso kann für jedes Ziel-Exportland je Ware ein Grenzwert ermittelt werden, der in Belegen wie Rechnungen und Angeboten in der Suite berücksichtigt werden. Auch das Preis-Leistungsverhältnis spricht für die Lösung.
Aber auch die in International Trade vorhandenen Funktionen können durch weitere Drittsoftware ergänzt werden. Viele kleinere Anwendungen, wie zum Beispiel zur Recherche von Dual-Use-Gütern, sind verfügbar. Aber auch große Lösungen zur Exportkontrolle, die nicht nur eine Sanktionslistenprüfung enthält, sondern auch Güterprüfungen und Länderembargos abbildet, sind denkbar.
Produkt | SAP S/4Hana for international Trade (Version 1809) | SAP Global Trade System (GTS) | AddOns und Schnittstellenlösungen für S/4HANA |
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Funktionsumfang | Tarifierung
Klassifizierung für die Exportkontrolle Kontrolle von gesetzlichen Regelungen für die Ein- und Ausfuhr Bearbeitung von Genehmigungen Freigabe und Sperrung von Ländern, Gütern und Geschäftspartnern Intrastat-Meldungen für alle EU-Länder |
Sanktionslistenprüfung
Exportmanagement Importmanagement Präferenz- und Freihandelsabkommen Spezielle Zollverfahren |
Tarifierung
Compliance- und Einfuhranmeldung Ausfuhranmeldung Präferenzkalkulation Lieferantenerklärungsmanagement Exportkontrolle Güterprüfung Dual-Use-Prüfung Embargoprüfung Gelangensbestätigung Frachtführeranbindung/KEP-Lösungen Laderampen Management Umsatzsteuer-ID Prüfung Und vieles mehr… |
Contra | kein Präferenzmanagement
keine Ausfuhranmeldung nicht in allen On-Premise Versionen vollständig verfügbar SAP Watchlist Screening ist nur als Zusatzservice in der Cloud verfügbar aufwendiger und teurer Updateprozess (On-Premise) |
sehr hohe Kosten
hoher Aufwand in der Wartung aufwändiges Customizing für einfache Aufgaben aufwändiger Updateprozess (Beispiel: Anpassung der Nachrichten für ATLAS-Verfahren) wenig anpassbar in der Cloud-Version |
keine allumfassenden Lösungen verfügbar
zeitaufwändige Anbietersuche begrenzt anpassbar |
Pro | die meisten Funktionen sind lizenzfrei verfügbar | an eigene Anforderungen anpassbar (On-Premise)
sehr umfassende Plattform für Zoll- und Außenhandelsfunktionen SAP-eigene Schnittstelle zu S/4HANA |
modular einsetzbar
hohe Flexibilität geringere Kosten spezialisierte Lösungen günstige und schnelle Updates bei rechtlichen Änderungen |
Entscheidungsgrundlagen für die Anbieterauswahl
Gute AddOns zeichnen sich dadurch aus, dass sie von offiziellen SAP-Partnern im eigenen Namensraum entwickelt wurden und sowohl On-Premise als auch als Cloud-Service verfügbar sind.
Generell sollte man sich ein anwendungsbezogenes Bild der jeweiligen Lösung machen, indem man sich über Produktvideos oder Webcasts einen Eindruck vom Prozess macht. Unklarheiten und Funktionsumfang sollten gezielt erfragt werden und darauf geachtet werden, dass neben einem technischen auch ein fachlicher Support gewährleistet ist. Gerade im Präferenzbereich gibt es keine „Out-of-the-box“-Lösung – bei der Implementierung spielen in der Regel immer die eigenen Gegebenheiten eines Unternehmens eine Rolle die in einem Experten-Workshop vorab erarbeitet werden. Deshalb ist bei dieser Thematik stets wichtig, dass dies auf einem fachlich angemessenen Niveau vom Anbieter bewerkstelligt werden kann. Ist man sich dennoch im Allgemeinen bei einer Software nicht ganz sicher sollte man gezielt nach einer Teststellung fragen und diese anschließend in einem Praxisfall erproben.
Sichtbare Ergebnisse anvisieren
Insgesamt kann man sagen, dass mit der Umstellung sich nicht nur Türen verschließen, sondern auch viele Möglichkeiten eröffnen. Leider nimmt mit der Freiheit zur Auswahl natürlich ebenso die Schwierigkeit zu, eine Entscheidung zu treffen. Es besteht dafür die Möglichkeit Lösungen im Baukastenprinzip zusammenzustellen, die im Ergebnis passender und näher an den Anforderungen des jeweiligen Unternehmens liegen als es eine allumfassende Lösung könnte. In der Praxis erweist sich dieser Weg für die meisten Unternehmen als zielführender, da schnell sichtbare Ergebnisse zu sehen sind. Zudem sind moderne Cloud-AddOn-Lösungen meist viel schneller auf dem aktuellen rechtlichen Stand.
Gerade wegen dieser Vielzahl an Alternativen sind Unternehmen gut beraten, sich im Rahmen des geplanten Wechsels auf S/4HANA frühzeitig mit den Anforderungen im Außenhandel auseinanderzusetzen. Aufgrund dieser kann dann das verfügbare Angebot sondiert werden und gegebenenfalls von unabhängiger Seite eine Beratung erfolgen. Letztlich kann dann Aufgrund der Möglichkeiten eine individuelle Vorgehensweise entwickelt werden.